Kritische Bemerkungen über Bartiris - Anregungen für Züchter

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Harald
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Kritische Bemerkungen über Bartiris - Anregungen für Züchter

Beitrag von Harald »

Es gibt Leute, die von vornherein abwinken, wenn das Wort "züchten" fällt. Gerade bei den Bartiris ist doch wohl alles erreicht, was zu erreichen war. Und überhaupt, diese schlimme Sucht alles größer, bunter und auffälliger zu machen nimmt doch langsam krankhafte Züge an!
Ich will den Leuten in einigen Punkten gern recht geben, trotzdem möchte ich für das Züchten eine Lanze brechen. Gibt es im Garten etwas Aufregenderes als ein Beet eigener Sämlinge vor der ersten Blüte? Ist die beabsichtigte Kombination schon dabei? Ist da vielleicht sogar etwas ganz Neues und Unerwartetes eingetreten? Ich finde es ungemein reizvoll mit den Mechanismen zu spielen, deren sich auch die Natur bedient, auf sie einzuwirken und sie zu steuern. Der Züchter kann entsprechend seinen Mitteln und individuellen Neigungen schöpferisch tätig sein. Es ist die Hohe Schule der Gartenleidenschaft und ein idealer Ausgleich für den an berufliche und meist eintönige Arbeitsprozesse gebundenen Menschen.
Wenn man einen Irisgarten zur Blütezeit besucht, kann man leicht ins Schwärmen geraten. Es ist doch eigentlich unglaublich, was aus den relativ unscheinbaren Schwertlilien unserer Eltern und Großeltern geworden ist. Der erfahrene Liebhaber sieht diese Pracht jedoch mit etwas gemischten Gefühlen. Er weiß nämlich, dass moderne TBs ihre Mucken haben können. Sie erfordern schon etwas Sorgfalt, und in nassen Jahren können Rhizomfäule und Blattfleckenkrankheiten einem Irishorst so zusetzen, dass er nicht mehr zu retten ist. Da sie im Sommer Hitze und Trockenheit lieben, geben wir ihnen den sonnigsten Platz im Garten und achten darauf, dass sie nicht von anderen Stauden überwuchert werden. Ich könnte aber auf die Palme gehen, wenn ich den Ratschlag höre, die Rhizome wegen der besseren Drainage auf Dämme zu pflanzen. Langsam muss man sich doch fragen: Wohin geht die Iriszüchtung eigentlich? Sind das überhaupt noch Gartenpflanzen, oder sollte man sie besser nur noch für Schnitt- und Show-Zwecke kultivieren? Wir haben uns angewöhnt, fasziniert nach den USA zu blicken, wo jedes Jahr neue, noch prächtigere Sorten erscheinen. Wir holen uns diese Wunderblumen in den Garten und hören Kulturanweisungen, dass sich einem die Haare sträuben. Muss das eigentlich so sein? Unsere alten diploiden Schwertlilien waren doch kaum umzubringen. Sie haben sich jahrhundertelang in Bauerngärten oder sonstwo verwildert erhalten und haben sich weder von nassen Sommern und kalten Wintern im geringsten beeindrucken lassen. Diese Eigenschaften sind ebenso erblich wie Substanz der Blüten, Verzweigung, oder Farben und Muster, leider aber des schnellen Erfolges wegen vernachlässigt worden. Sicher, es ist etwas schwierig Robustheit und Widerstandsfähigkeit in Farbe darzustellen, wie werbewirksam ist dagegen ein schönes, buntes Foto. Man kann kaum übersehen, dass in dieser Hinsicht schwer gesündigt worden ist, und auch die Tatsache, dass in den USA in letzter Zeit vermehrt diploide Table Iris auf dem Markt auftauchen, scheint mir ein Indiz zu sein für ein gewisses Unbehagen auch dort an dieser Entwicklung. Es ist durchaus nicht so, dass wir da machtlos zusehen müssen. Lasst uns die Dinge in die Hand nehmen und härtere Iris züchten. Wer die Möglichkeit hat im Jahr etwa 100 Sämlinge aufzuziehen, kann schon viel dazu beitragen, diese Entwicklung in eine bessere Richtung zu steuern.
Zunächst sollte man sich darüber im klaren sein, dass die alten Gartenschwertlilien nicht deshalb härter sind, weil sie diploid sind, sondern die Empfindlichkeit vieler moderner, tetraploider Sorten geht ganz eindeutig auf das Konto der tetraploiden, kleinasiatischen, großblumigen Wildarten, die um die Jahrhundertwende eingekreuzt worden sind. Diese stammten aus einem Klima mit heißen, trockenen Sommern und milden, feuchten Wintern und waren an solche Verhältnisse angepasst. Dagegen hat die Tetraploidie an sich große Vorteile. Jede Körperzelle enthält nicht zwei, sondern vier Sätze von je 12 Chromosomen. Dadurch sind die Zellen größer und damit alle Pflanzenteile. Besonders auffällig ist die größere Festigkeit des Gewebes einschließlich der Blüten. Man darf auch nicht übersehen, dass die große Vielfalt der Farben und Muster erst dadurch möglich geworden ist, dass bestimmte Farbengene in den Tetraploiden in vierfacher Ausführung wirksam werden konnten. So sind z.B. lycopin-rosa Iris nur im tetraploiden Zustand möglich. Auch die berechtigte Vorliebe vieler Liebhaber für zierlichere Formen kann durchaus von tetraploiden Iris befriedigt werden. So gibt es von Iris aphylla (2n=4x12=48) Formen, die nur 20 cm hoch werden. Man muss also nicht auf das diploide Niveau, um harte Garteniris zu züchten. Doch wage ich zu bezweifeln, dass die Auslese aus der Nachzucht zweier Dykesmedaillen-Gewinner in absehbarer Zeit zum Erfolg führt. Es fällt natürlich nicht leicht, den durch langjährige Züchtungsauslese erreichten hohen Standard aufzugeben, denn eine Auslese auf solche, nicht auf einen Blick erkennbaren Werteigenschaften ist ein langwieriges Geschäft.
Was könnte man aber tun? Ich denke, dass ich zwei gangbare Wege vorschlagen kann. Der erste geht über Iris aphylla, die viele wichtige gute Eigenschaften hat. Sie ist tetraploid, lässt sich leicht mit den Hohen Bartiris kreuzen, und die daraus erzogenen Sämlinge sind normal fruchtbar. Obwohl sie, wie alle Bartiris, im Sommer Trockenheit und Wärme liebt, kommt sie auch noch an ungünstigeren Gartenplätzen zurecht. Im Spätherbst und Winter stirbt das Laub vollständig ab (aphylla = blattlos), wodurch sie für die Unbilden des Winters völlig unempfindlich ist. Als Blütenfarbe vererbt sie ein ziemlich dominantes Violettblau, das man aber durch Auslese unterdrücken könnte. Von besonderer Wichtigkeit ist die reiche Verzweigung des Blütenstandes, die meistens schon am Boden beginnt. Natürlich, man braucht einige Generationen von Sämlingen, um die Schönheit der modernen TBs mit den guten Eigenschaften von I.aphylla zu verbinden, aber es lohnt sich bestimmt.
Eine zweite, hochinteressante Möglichkeit ist wohl etwas in Vergessenheit geraten. Als die großblumigen, kleinasiatischen Wildiris nach Europa kamen, haben die Züchter sie fleißig mit den hier vorhandenen diploiden Gartensorten gekreuzt. Um Chromosomen und Ploidiestufen kümmerte sich kein Mensch, weil man nichts davon wusste. Den schlechten Samenansatz erklärte man mit dem geringeren Verwandtschaftsgrad zu den fremden Arten. Beim Iris-Symposion 1963 in Florenz hat Dr. Marc Simonet darauf hingewiesen, dass bei den Kreuzungen diploider mit tetraploiden Bartiris sich bis zu 50 % der Sämlinge als tetraploid erwiesen haben! Hier muss man allerdings sagen: Dieser Prozentsatz sagt nichts aus über die Anzahl der gebildeten tetraploiden Samen, 1 von 2 ist auch 50%. Theoretisch entstehen bei solchen Kreuzungen triploide Pflanzen, da beide Eltern die Hälfte ihrer Chromosomensätze beisteuern. Die Natur scheint aber eine Abneigung zu haben, solche fast völlig sterilen, fortpflanzungsunfähigen Individuen zu produzieren. Als Folge dieser "Abneigung" werden bei dem diploiden Partner offenbar vermehrt unreduzierte Keimzellen gebildet. Zugegeben, es ist nur etwas für Geduldige, aber es ist ein gangbarer Weg und eine reizvolle Aufgabe, befinden wir uns doch heute in einer weit komfortableren Position als die frühen Züchter. Wir haben die hochentwickelten, an Pracht kaum zu überbietenden Hohen Bartiris und ganz leidliche, sehr robuste Diploide in allen Farben, s.a.
http://www.deutsches-pflanzen-forum.de/ ... t4430.html
Einen kleinen Haken hat die Sache allerdings doch noch. Die Kreuzung 2n x 4n, oder umgekehrt, ist nicht sehr ergiebig. Es entstehen nur wenige Kapseln, die auch oft nur wenige keimfähige Samen enthalten. Bei den bekannt niedrigen Keimungsraten der Bartiris gibt es entsprechend wenig Sämlinge. Aber gerade dieser Umstand gibt auch den Besitzern kleiner Gärten eine Chance, auf diesem wichtigen Gebiet erfolgreich mitzuwirken. Triploide Sämlinge sind von tetraploiden außer durch die Unterschiede in der Fruchtbarkeit auch durch Untersuchung der Pollenkorngröße unter einem einfachen Schülermikroskop zu unterscheiden. Die Antheren triploider Pflanzen enthalten Pollenkörner unterschiedlicher Größe, viele sind verschrumpelt oder zusammengeklumpt, und manchmal fehlen sie ganz.
Wer sich mit der Züchtung von Zwergiris beschäftigen möchte, muss sich mit den Chromosomenzahlen der verschiedenen Spezies und Hybriden auseinandersetzen. Leider hilft hier weder das Studium der systematischen Einteilungen nach Dykes-Diels, oder Lawrence, noch die von der AIS geschaffene Klassifizierung, die sich im wesentlichen nach der Höhe der Blütenstiele richtet. Bei den Bartiris (ohne die Subsektionen Oncocyclus und Regelia) gibt es zwei verschiedene Chromosomen-Basissätze, nämlich x=8 und x=12. Dieser einfache (haploide) Chromosomensatz ist die kleinste, nicht mehr teilbare Einheit. Diploide Bartiris haben 2n= 8+8=16, z.B. Iris attica, oder 2n=12+12=24 wie z.B. Iris variegata, wobei ein haploider Satz von der Vaterpflanze, und der andere von der Mutterpflanze stammt. Solche Pflanzen sind fertil, weil alle Chromosomen in zweifacher Ausführung vorhanden sind, und sich bei der Reduktionsteilung, die der Bildung von Samenanlagen und Pollen vorausgeht, wieder auf die Hälfte reduzieren lassen. Kreuzt man I.attica (8+8) mit I.variegata (12+12) erhält man Pflanzen mit 2n=8+12=20 Chromosomen. Solche Hybriden sind steril, weil die Chromosomen des 8er-Satzes anders sind als die des 12er-Satzes. Die Reduktionsteilung ist gestört, die Pflanze kann keine Samenanlagen bilden, und der Pollen, falls überhaupt welcher produziert wird, ist unfruchtbar. Wenn es aber gelingt die Chromosomen dieser Pflanze, z.B. durch Colchizinbehandlung zu verdoppeln, ist die Fertilität wiederhergestellt. Sowohl der 8er-Satz, als auch der 12er-Satz ist dann zweifach vorhanden (8+8+12+12), und die Reduktionsteilung funktioniert wieder. Die Iris lutescens, eine Wildart aus Südeuropa hat solch einen Aufbau, ebenfalls die Standard Dwarfs (SDBs), die ursprünglich aus der Kreuzung von tetraploiden Hohen Bartiris (12+12+12+12) und der ebenfalls tetraploiden Iris pumila (8+8+8+8) hervorgegangen sind.
Kreuzt man Standard Dwarfs (SDBs) mit Hohen Bartiris, erhält man Pflanzen mit je der Hälfte der Chromosomen beider Eltern, also (8+12+12+12 = 44). Das sind in der Regel Media-Iris, die nicht immer vollkommen steril sind, die aber wegen des einen unpassenden 8er-Satzes beträchtliche Schwierigkeiten bei der Reduktionsteilung haben. Es ist fast unmöglich, zwei solche Typen untereinander zu kreuzen, evtl. gibt es ein paar Samen, wenn man den Pollen einer normal fertilen Vaterpflanze benutzt. Ähnlich ist es bei der Kreuzung SDB x I.pumila. Die Sämlinge können als Gartenpflanzen einen hohen Wert besitzen, zur Weiterzucht sind sie aber weitgehend ungeeignet.
Die heutigen Dwarfs und Medians verdanken ihren niedrigen Wuchs ausnahmslos der tetraploiden I.pumila, obwohl es eine Menge 12-chromosomiger Zwerge gibt, die kaum, zumindest aber niemals konsequent in die Züchtung einbezogen worden sind. Iris reichenbachii, suaveolens, furcata, timofejewii, um nur einige zu nennen, sind zwergig und haben 2n=24 Chromosomen. Hier ist noch viel unerforschtes Gebiet. Neue diploide Table-Iris wären ideale Kreuzungspartner, doch man muss damit rechnen, dass bei Verwendung der osteuropäisch/asiatischen Formen trotz gleicher Chromosomenzahlen gewisse Meiosestörungen auftreten können. Eigene Experimente deuten darauf hin, dass diese sich entwicklungsgeschichtlich schon etwas von ihrer europäischen I.pallida/variegata-Verwandtschaft entfernt haben.
Eine Sache wäre noch zu erwähnen. Man kann einer kleinen Iris nicht so ohne weiteres ansehen, wie viele Chromosomen sie hat. Im Zweifelsfall helfen da nur Testkreuzungen. Dafür sollte immer eine echte I.pumila, ein SDB- oder I.lutescens-Typ und eine Diploide aus der 12er-Gruppe zur Verfügung stehen. Anhand der Fertilität (oder Sterilität) der Sämlinge sind die in Frage kommenden Pflanzen bald identifiziert.
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Martin
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Re: Kritische Bemerkungen über Bartiris - Anregungen für Züchter

Beitrag von Martin »

Hallo Harald,

deine kritischen Anmerkungen über Iris sprechen einem aus der Seele. Blättert man die bunten Kataloge nach Bartiris ist man fasziniert vom Angebot. Pflanzt man die erworbenen Rhizome dann im Garten, wird man schon im darauf folgenden Jahr enttäuscht über auftretende Blattfleckenkrankheiten und Rhizomfäule. Wahrscheinlich genießt die Bartiris ihren Ruf als heikel aufgrund dessen. Warum gibt es nicht wie schon bei Rosen auch eine Art Gütesiegel, wobei neue Iriszüchtungen streng in kühlen Gegenden Europas geprüft werden und nicht in wärmeren Gegenden Amerikas? Dann würde sich hier die Spreu vom Weizen lösen. Vielleicht greifen die Züchter dann wieder beim Züchten vermehrt auf gesunde und nicht so krankheitsanfällige Eltern wie bsw. Iris aphylla zurück.
Viele Grüße
Martin
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Harald
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Re: Kritische Bemerkungen über Bartiris - Anregungen für Züchter

Beitrag von Harald »

Hallo Martin,
ich bin seit vielen Jahren Mitglied der GdS (Gesellschaft der Staudenfreunde). In der 1/4-jährlich erscheinenden Mitgliederzeitschrift erschienen in der Vergangenheit einige Male sog. Beliebtheitslisten, aber die Beteiligung der Mitglieder war nie überwältigend. So ist das ganze wieder eingeschlafen. Es ist so wie bei vielen Dingen: Einer muss es in die Hand nehmen und machen.
Grüße
Harald.
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